06) Stadt-Sanierung

Die Tafel 6 zeigt die alte Wilhelmstraße, wie sie bis zur Stadtsanie­rung in den 70er Jahren aussah. Natürlich hatte sich die Bebau­ung auch in den Jahrzehnten vorher immer wieder verändert, war den sich wandelnden Bedürfnissen der Bewohner angepasst wor­den. Der radikale Abbruch der Altstadt begann jedoch erst 1978.

Der Plettenberger Stadtrat konnte für seinen im Jahr 1971 gefassten Beschluss, die Stadtmitte zu sanieren, gute Gründe vorweisen. Ausgangspunkt war die allen Bürgern als notwendig und längst überfällig erscheinende Aussiedlung mitten in der Stadt produzierender Unternehmen wie etwa des Hammerwerks Seissenschmidt. Zugleich sollte der gesamte Stadtkern neu überplant werden. Die verwinkelte Verkehrsführung durch die Wilhelmstraße entsprach nicht den damaligen Vorstellungen von der schönen neuen Autowelt, die Bewohner der alten Fachwerkhäuschen im Altstadtkern sahen weniger das ehrwürdige Alter ihrer Häuser als den fehlenden Wohnkomfort, die kleinen, niedrigen Zimmer, die primitiven Bäder etc. Die meisten Plettenberger wünschten sich ein wenig mehr städtisches Leben: ein Kaufhaus, ein zentral gelegenes Rathaus, attraktive Treffpunkte. Damit die neugestaltete Innenstadt lebendig werde, wollte man den Autoverkehr möglichst herausnehmen. Eine Umgehungsstraße am Wall sollte den Stadtkern entlasten. Das Land NRW stellte für die Sanierung Geld in Aussicht.
Man meinte es also gut. Rat, Planungsausschuss, die Mitglieder des eigens gegründeten Sanierungsbeirats machten sich die Entscheidungen nicht leicht. Jahrelang wurde diskutiert - allerdings, und das erstaunt im Nachhinein, erhitzten Detailfragen (Gibt es genügend Parkplätze? Welches Pflaster wählen wir?) die Gemüter weit heftiger als Grundsatzentscheidungen wie der Abriss ganzer Häuserze­ilen. Lange Zeit sprach auch niemand wirklich deutlich aus, dass man die Altstadt entkernen musste, um die neue Stadtvision zu verwirklichen. In einem ersten Gutachten 1972 ist noch die Rede von einer »behutsamen Erhaltung des Altstadtgrundrisses und der Maßstäblichkeit der Bebauung in der Altstadt«. Gutachter Eisele schulg zudem vor, die geräumten Industriehallen zwischen Grüne- und Brachtstraße für neue Nutzungen umzubauen. In einem Zwischenbericht des Planungsamts 1974 heißt es, der »Umfang der Bau- und Abbruchmaßnahmen sei offen«. Im Dezember '74 dann liegt das Sanierungskonzept auf dem Tisch. Jetzt endlich hat es jeder schwarz auf weiß: die Wilhelmstraße soll Fußgängerzone werden, auf dem Grundstück der alten Martin-Luther-Schule möchte man ein Kaufhaus ansiedeln, und man plant die »Altstadtentkernung«. Mitte '75 wird der Bebauungsplan »Stadtmitte-Bereich Altstadt« den Trägern öffentlicher Belange zugeleitet. Der Landeskonservator in Münster sanktioniert den Kahlschlag: keine Bedenken. Auch die Anwohner des Sanierungsgebiets haben inzwischen Stellung genommen: breite Zustimmung. Einsprüche betreffen Kleinig­keiten. Der eine wünscht seine Eingangstreppe zu behalten, ein anderer fürchtet den Verlust eines Parkplatzes, ein dritter möchte keinen öffentlichen Fußweg an seinem Haus vorbeiführen sehen. Ein vierter fürchtet durch den Abriss seines Hau­ses in finanzielle Probleme zu kommen und kann durch Hinweis auf den Sozial­plan beruhigt werden. Ein fünfter dagegen will sein Haus, das nicht abgerissen werden soll, als »zu beseitigen« gekennzeichnet haben. Es sei sowieso sanierungs­bedürftig.

Die Diskussion um die Gestaltung des oberen Teils der Wilhelmstraße beleuchtet exemplarisch die typischen Mechanismen des sich immer mehr verselbstständigen­den Sanierungsprozesses. 1978 liegen dem Planungsausschuss die Pläne für die Gestaltung der Kernzone um den Kirchplatz und der oberen Wilhelmstraße vor. Die Grundsatzentscheidungen sind längst gefallen. Die Bebauung um die Chri­stuskirche herum wird erhalten. Der Planungsausschuss diskutiert leidenschaftlich, ob das geplante Pflaster am Kirchplatz auch ausreichend gut begehbar sei und ob die Papierkörbe an den Häusern oder an den geplanten Ruhebänken angeschraubt werden sollen. Die Häuserzeile der kleinen Giebelhäuser zwischen Obertor und Modehaus Funke soll fallen. Mit 7:6 Stimmen entscheidet der Planungsausschuss, dass an dieser Stelle ein von der Architektengruppe Münch entworfener Neubau errichtet werden soll. Die sechs Gegenstimmen richten sich nicht gegen die ge­plante Architektur - sie monieren lediglich Details der geplanten organisatorischen Abwicklung.

1979 scheinen dann einige Verantwortliche angesichts des geplanten »Hauchs von Großstadt« kalte Füße bekommen zu haben. Die »Giebel-Diskussion« verzögert den Abriss um einige Monate. Im Sanierungsbeirat entdeckt man plötzlich, dass für die Plettenberger Altstadthäuser die »Giebelständigkeit« typisch ist, also Häuser­reihen, die ihre Giebel der Straße zuwenden. Die Frage wird aufgeworfen, ob der Neubau diese Giebel zitieren könnte, ob nicht sogar möglicherweise Teile der Altbauten oder deren Fassaden erhalten werden sollten. Die Diskussion kommt um einiges zu spät. Die Verträge mit den Hauseigentümern sind längst geschlossen, die Planungen bereits viel zu weit fortgeschritten, als dass noch solch grundlegende Änderungen möglich wären.
Um die Sichtweise der damals an der Stadtsanierung beteiligten Personen zu verdeutlichen, wurde ein Gespräch mit Stadtdirektor Walter Stahlschmidt geführt. Herr Stahlschmidt war damals Vorsitzender der seit 1972 bestehenden AG-Stadtsanierung, bestehend aus Vertretern von Planungs- und Tiefbauamt und der Bauverwaltung.


Abbruch der Bücherstube Albert in der Wilhelmstraße

Als eigentliche Initialzündung für die Stadtsanierung nennt Herr Stahlschmidt die Einrichtung des Städtebauförderungsgesetzes, das als Grundlage diente, um staatliche Gelder und Fördermittel für größere Bauprojekte zu erlangen. Bis dahin hätten Anwohner und Eigentümer die Kosten für solche Projekte wie Straßenbau, Parkplätze etc. allein tragen müssen. Insgesamt flossen 60 Millionen DM Fördermittel nach Plettenberg. Diese Mittel wurden, in Beamtendeutsch gesprochen, für >Bausubstanz- und Funktionsschwächesanierung< verwendet. Anders ausgedrückt heißt das: Es sollten Baufläche, bessere Verkehrswege, Parkplätze und Geschäftsräume für den Einzelhandel geschaffen werden. Einem Gutachten zufolge waren damals die Bedingungen für den Einzelhandel äußerst schlecht, viele Plettenberger erledigten ihre Einkäufe in der Umgebung, der Einzelhandel war wenig leistungsfähig. Man war sich einig, dass das nur an den schlechten Verkehrsbedingungen und beschränkten Verkaufsflächen liege. Eine Stadtsanierung sollte die Attraktivi­tät der Innenstadt steigern.
Stadtdirektor Stahlschmidt zufolge war man sich seitens der Planer sehr schnell über eine großflächige Sanierung und den Abriss der meisten alten Bauten im Klaren. Ihre Beseitigung war in den Diskussionen relativ unumstritten. So bestätig­te zum Beispiel die Tatsache, dass in der giebelständigen Häuserzeile zwischen Obertor und Modehaus Funke nur noch vier Personen wohnten und ansonsten nur noch Geschäfte ansässig waren, die Stadtsanierer in ihren Beschlüssen. Haupt­sächliche »Nichtbetroffene«, so Stahlschmidt, hätten sich für den Erhalt der alten Gebäude stark gemacht. Folglich gibt es auch heute seitens der Stadtverwaltung kaum bedauernde Stimmen über den großzügigen Abriss. Walter Stahlschmidt: »Grobe Fehler konnten wir noch nicht entdecken«.

Die aktuelle Diskussion (1998) über den Abriss des Centraltheaters an der Bahn­hofstraße spiegelt insgesamt gut die Vorgehensweise der Stadtverwaltung bezüglich des Erhalts historischer Gebäude in Plettenberg wieder. Laut Stadtdirektor Stahlschmidt sei kein Bedarf für ein solches Gebäude in Plettenberg gegeben. Ferner kämen im Falle einer Sanierung extrem hohe Kosten auf die Stadt zu, die nicht mit einem »geschichtlichen Wert« gerechtfertigt werden könnten. »Das Alter eines Gebäudes macht es nicht automatisch erhaltenswert.«

Zum Schluss seien ein paar der warnenden Stimmen zitiert, die sich nicht erst in den 70er Jahren erhoben. Bereits 1953 verurteilte ein Leserbriefschreiber im Süderländer Tageblatt den geplanten Neubau des Hauses Wilmink am Obertor, für den eines der alten Giebelhäuser abgerissen wurde:

»Die Stadt Plettenberg besitzt nur noch eine beschränkte Zahl hi­storisch und künstlerisch wertvoller Baulichkeiten, die Schönheit und den malerischen Charakter des einstigen Stadtbildes erahnen lassen. Brände und Erneuerungen, Ausweitung und Industrialisierung haben das Bild weitgehend verändert, leider nur selten zum Vorteil des Ganzen. Die Stadt trägt heute fast in allen Teilen einen neuzeitlich-nüchternen Baucharakter, der unnötigerweise noch dadurch unterstrichen und verstäkt wird, dass man die Mehrzahl der älteren Fachwerk- und Natursteinbauten durch Putzverkleidung und überflüssigen Zierat modern frisiert hat. [...] Nicht alles, was an wertvollem Baugut noch vorhanden ist, lässt sich erhalten; wo aber zwingende Gründe eine Beseitigung und Neugestaltung notwendig machen, sollte man zumindest versuchen, den einfachsten und elementarsten Forderungen des Stilempfindens zu entsprechen und das Neuzuschaffende in Form und Charakter dem vorhandenen Bilde anzugleichen. [...]«

Am 23.2.1978 macht Klaus Menschel im Süderländer seinem Entsetzen über die gerade öffentlich ausliegende Planung für die Altstadt Luft:

»Dem Stadtkern ist nach der totalen Vernichtung durch den Stadtbrand von 1725 keinerlei ähnliche Katastrophe widerfahren.[...} Nicht einmal der letzte Weltkrieg hat das Stadtbild besonders in Mitleidenschaft gezogen. [...] Hier bleibt also außer[...} der engeren Kirchplatz-Randbebauung, den Häusern nördlich der Wilhelmstraße von Schadwinkel bis Perlitz, dem >Pröhlken< und Den­tal-Niggemann nichts mehr übrig.«

Und schließlich ein Leserbrief vom 6.11.1980, der als Reaktion auf die Fällung von vier alten Kastanien im Ortsteil Böddinghausen geschrieben wurde und die Sanie­rungsmanie der vergangenen Jahre aufs Korn nimmt:

»[...} Anscheinend konnten sich die Plettenberger Städteplaner immer noch nicht von ihrem morbiden Kleinstadtkomplex lösen. Um der >Vier-Täler-Stadt< einen Großstadtcharakter zu verleihen, werden Abermillionen von Steuergeldern für Projekte ausgegeben, deren Sinn zumindest bestreitbar ist. 'So könnte man den Busbahnhof in Eiringhausen durchaus mit einem überdimensionalen Eierkarton verwechseln, während Häusersanierung und -neubau in der Innenstadt eine architektonische Schizophrenie verrät, in der sich die verantwortlichen Ämter um den schlechte­sten Geschmack streiten. Ohne Zweifel ist die Fußgängerzone das beste Beispiel für das Pseudo-Großstadtdenken in unserem Rat­haus, denn Straßenbilder, wie sie in richtigen Fußgängerzonen vorherrschen, sieht man hier nie. Auch Böddinghausen soll jetzt durch Baulärm aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden, da­mit eine übersichtliche, gut ausgebildete Rennbahn das Schulzen­trum vom eigentlichen Dorf abtrennt. [...]«

Graf Dietrichstr. links Köhler rechts Howald
Oberstadtgraben - Garten-Wrobel
Ober-Stadtgraben von hinten
Previous Next Play Pause
1 2 3